In den Räumen der Volksbank trafen sich rund 100 Landwirte, Vertreter des Agrarhandels, der Saatguterzeugung und der Mühlen in Hildesheim, um über die Perspektiven des Anbaus von hochwertigem Weizen zu diskutieren. Mit dabei Berufsschüler der Michelsenschule Hildesheim.
Als Vorsitzender der AG eröffnete Markus Gerhardy die Veranstaltung und unterstrich die dramatischen Folgen, die der russische Angriffskrieg auf die Ukraine auf den Agrarmärkten verursacht: eine knappe Versorgungssituation, steigende Rohstoffpreise, explodierende Energiekosten. Das Ganze fällt in Niedersachsen zusammen mit der ausgeprägten Dürre im Sommer 2022 sowie der zunehmend emotional geführten öffentlichen Debatte um die zukünftige Ausrichtung der Landwirtschaft.
Im ersten Vortrag ging Carsten Rieckmann von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen auf den Weizenanbau und die Landessortenversuche 2022 ein. Beim Winterweizen mit einer Anbaufläche von unverändert rund 365.000 Hektar in Niedersachsen konnten zur Ernte 2022 trotz Dürre durchschnittliche Erträge eingefahren werden. Je nach Wasserverfügbarkeit schwankten sie jedoch mit Erträgen zwischen 4t/ha und 11t/ha stärker als in den vergangenen 10 Jahren.
Zukünftig werden die Vorgaben aus der Düngeverordnung und Restriktionen beim Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel, bis hin zu dem zurzeit diskutierten kompletten Verbot in Schutzgebieten, den Anbau von Qualitätsgetreide weiter erschweren. Es drohen Ertragsrückgänge bis zu 20 % sowie erhebliche Qualitätseinbußen in Backvolumen und Besatz (z.B. Mutterkorn).
Vor diesem Hintergrund kommt der Wahl der richtigen Sorte eine immer größere Bedeutung zu. Carsten Rieckmann stellte die langjährigen Versuchsergebnisse der Landwirtschaftskammer Niedersachsen zu verschiedenen Weizensorten und zur reduzierten Stickstoffdüngung vor. Diese belegen, dass neben dem Ertrag mit Blick auf die Backeigenschaften auch der Gehalt an Feuchtkleber sinkt. Fazit: Gesunde, robuste sowie proteineffiziente Sorten werden für die Backwarenerzeugung immer wichtiger, währenddessen die Herausforderungen an die Landwirte, durch geeignete ackerbauliche Maßnahmen die Wachstumsbedingungen des Weizens trotz Trockenstress und geringerem Düngerangebot zu optimieren, wachsen.
Carsten Grupe, Leiter der Bezirksstelle Braunschweig der Landwirtschaftskammer und Geschäftsführer der AG Qualitätsweizenbau, ging intensiv auf die Mehl- und Teigeigenschaften ein. Die Ernte 2022 weist insgesamt die schwächsten Backeigenschaften der vergangenen 15 Jahre auf. Je nach untersuchter Sorte bzw. Standort liegen allerdings gravierende Unterschiede vor, die durchgehend nicht allein am Rohproteingehalt erkennbar sind. Wiederum ein Beleg dafür, dass heute ein hochwertiges Backvolumen auch mit weniger Rohprotein erreicht werden kann.
Die Frage der Qualitätskriterien ist und bleibt eine kontroverse Diskussion. Und Fakt ist: Nicht die Anforderungen der heimischen Backwirtschaft, sondern der Getreideexport ist der wesentliche Treiber für das Festhalten am Qualitätsparameter Rohprotein.
Dr. Peter Haarbeck vertrat den Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft (VGMS). Er verwies auf die große Heterogenität der Mühlen mit Blick auf ihre Größe, ihre Einkaufspolitik und das große Spektrum ihrer Produkte – von Backwaren über Cerealien bis hin zur Stärke als Grundstoff für Pappe oder Klebstoffe. Vor dem Hintergrund der emotional geführten Debatte, ob Getreide in den Trog oder ins Brot wandern sollte, stellte er die Frage, wie Brot- und Futtergetreide eigentlich zu differenzieren sei.
Aufrüttelnd auch seine Hinweise an die Getreideanbauern mit Blick auf Mutterkorn, Escherichia coli und Glyphosat. All dies findet sich im Getreidemehl. Beim Mutterkorn, das zunehmend auch in Weizenbeständen gefunden wird, droht eine Verschärfung der Grenzwerte. Als möglicher Ursprung der Kolibakterien scheint auch die Gülledüngung in Frage zu kommen. Kolibakterien sind auch der maßgebliche Grund eines Warnhinweises auf jeder Mehlpackung, das Mehl und Teig nicht zum Rohverzehr bestimmt sind. Gesetzliche Grenzwerte bleiben jedoch weit unterschritten. Dennoch zeigen diese Themen, wie wichtig es ist, dass Landwirte Hand in Hand mit der verarbeitenden Industrie zusammenarbeiten, um vorhandene Probleme schnell und gemeinsam zu lösen.
Unter dem Slogan „Chilla checkt!“ analysiert Bernhard Chilla für AGRAVIS die Situation auf den globalen Getreide- und Handelsmärkten. Seine Zahlen zeigten, dass es schon vor der Ukrainekrise ein strukturelles Problem mit der weltweiten Weizenversorgung gab. Die Welt verbraucht mehr Getreide als sie produziert. Lagerbestände können für Krisenzeiten nicht aufgebaut werden. Insgesamt ein klares Signal dafür, dass in Deutschland und Europa unter Berücksichtigung von Umweltbelangen so effizient wie möglich gewirtschaftet werden muss. Der unsachlichen These, Futterweizen könne bei knapper Versorgungssituation auch in der Verwendung zu Backzwecken seinen Markt finden, entgegnet der Marktexperte mit der Frage, weshalb selbst ein ausgesprochener Preiskäufer wie Tunesien, trotz deutlicher Abschläge für Futterqualitäten, durchgehend Backqualitäten aufruft und entsprechende Preisaufschläge akzeptiert.
Die diesjährige Tagung der AG Qualitätsweizenanbau entließ die Teilnehmer schlauer, aber mit Blick auf die Folgen des Krieges auch etwas ratlos zurück in ihre Arbeitswelten. Bei den Landwirten werden die Anbauentscheidungen getroffen sein. Die Saat des Winterweizens läuft – möge die Ernte 2023 erfolgreich werden!