Am 6. September traf sich die AG Qualitätsweizenanbau e.V. in Hildesheim zu ihrer Jahrestagung 2023. Die AG Qualitätsweizenanbau ist Mitglied im Netzwerk Ackerbau Niedersachsen e.V. (NAN) und setzt das dort verfolgte Konzept, eine landwirtschaftliche Fragestellung – hier den Anbau von Qualitätsweizen – entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu behandeln, vorbildlich um. Von der Züchtung über die landwirtschaftliche Praxis und den Getreidehandel bis hin zu den Mühlen sind die relevanten Akteure vertreten, um gemeinsam die Herausforderungen, die die Märkte und die Politik dem Weizenanbau bescheren, zu meistern.
In ihrer Begrüßung wiesen der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Markus Gerhardy und der Vizepräsident der Landwirtschaftskammer (LWK) Niedersachsen, Heinrich Grupe, auf die besonders schwierigen Erntebedingungen im Sommer 2023 hin. Nach einer zunächst guten Entwicklung der Getreidebestände im Frühjahr, führten Starkniederschläge im Juni in manchen Regionen zu Lagerbildung und die verregnete Haupterntezeit mit nur kurzen Erntefenstern zu Durch- bzw. Auswuchs. Am Ende konnte beim Winterweizen auf rund 352.000 Hektar in Niedersachsen nur eine qualitativ unterdurchschnittliche Ernte bei niedrigen Proteingehalten eingefahren werden.
Wie sich Emerick, Asory, Chevignon oder Donovan und die vielen weiteren Weizensorten im Vergleich geschlagen haben, zeigte Carsten Riekmann, Sachgebietsleiter Mähdruschfrüchte, Nutzungssysteme und Qualitätserzeugung der LWK Niedersachsen. Im Rahmen der Landessortenversuche werden auf verschiedenen regionstypischen Standorten die Weizensorten im Vergleich angebaut. Die Ergebnisse liefern der Praxis wichtige Hinweise und Empfehlungen. Carsten Riekmann unterstrich, dass bei der Sortenwahl neben den erwarteten Erträgen auch Krankheitstoleranz, Proteingehalte, Fallzahlstabilität und Standfestigkeit wichtige Entscheidungsparameter sind.
Die verschiedenen Sorten werden von der AG Qualitätsweizenanbau und der LWK jedoch nicht nur auf Ertrag und Proteingehalt untersucht, sondern auch auf ihre Backeigenschaften. Carsten Grupe, Geschäftsführer der AG Qualitätsweizenanbau und Leiter der Bezirksstelle Braunschweig der LWK Niedersachsen, stellte die Ergebnisse vor. Zunächst die gute Botschaft: Fusarien und Mutterkorn spielen in diesem Jahr im Gegensatz zu den letzten Ernten aufgrund der Wetterbedingungen keine Rolle. Als weitere, neue Qualitätsparameter ging Carsten Grupe auf die N-Effizienz und die Proteineffizienz ein. Bei der N-Effizienz liegt die bewertete Spanne zwischen den verschiedenen Weizensorten bei rund 20 kg N/ ha und bei der Proteineffizienz bei 10 ml/ % Rohprotein.
Beides sind neu konzipierte Erfolgsparameter im Qualitätsweizenanbau. Bei den Backuntersuchungen wurden Kriterien wie die Mehlausbeute, die vor allem den Müller interessiert, und die Wasseraufnahme, die wiederum für den Bäcker entscheidend ist, analysiert. Aber auch der Feuchtkleber und der Rapid-Mix-Test (RMT) geben Aufschluss über die Backqualität der verschiedenen Weizensorten. Insbesondere der Feuchtkleber und auch das von der Weizensorte abhängige Verhältnis der Klebereiweiße Gliadin und Glutenin finden immer mehr Aufmerksamkeit. Die einst ausgeprägte Korrelation zwischen einen hohen Rohproteinwert und einem hohen Feuchtkleberanteil ist bei den heutigen Sorten und Anbaumethoden längst nicht mehr so eng. Auch wenn der Proteinwert der zentrale Qualitätsparameter bleiben wird, da er international anerkannt und schnell zu ermitteln ist, reicht es längst nicht mehr aus, allein auf ihn zu schauen. Hier ist im Sinne des niedersächsischen Qualitätsweizenanbaus ein Umdenken dringend erforderlich.
In der Diskussion wurde deutlich, dass es nicht nur wegen der Wetterbedingungen, sondern auch wegen der Düngevorgaben immer schwieriger wird, qualitativ hochwertigen Weizen zu produzieren. Nach Einschätzung anwesender Marktteilnehmer werden nur rund 25 % des als Backweizen angebauten Weizens in Niedersachsen 2023 auch tatsächlich Backweizenqualität erreichen. Dies wird nicht ausreichen, um die Mühlen in Niedersachsen zu versorgen. Immerhin hat Niedersachsen rund 25 % der Mühlenkapazität Deutschlands.
Ulf Müller, verantwortlich für Qualitätssicherung und -management bei GoodMills Deutschland, einem der größten Mühlenunternehmen Deutschlands mit über 100-jähriger Geschichte, begann seinen Vortrag zu den Anforderungen der Marktteilnehmer beim letzten Glied in der Kette, dem Verbraucher. Seine Wünsche nach Regionalität, Sicherheit, Schadstofffreiheit, Klimaneutralität, Transparenz entlang der Produktionskette gepaart mit der Forderung, Backwaren zu einem günstigen Preis kaufen zu können, bestimmen neben den Qualitätsanforderungen zunehmend den Markt. Denn der Lebensmitteleinzelhandel mit seiner starken Marktmacht gibt diese „Wunschliste“ an die Erzeuger der Backwaren, die Mühlen, den Getreidehandel und am Ende den Landwirt weiter. Ulf Müller plädierte für eine noch engere Kooperation der Markteilnehmer und eine offensivere Kommunikation in Richtung Politik und Verbraucher. Er verwies auf das Beispiel Dänemark, wo durch politische Vorgaben die Stickstoffdüngung stark eingeschränkt wurde. Dies resultierte in sinkenden Proteingehalten im Weizenanbau. Erst als diese so weit fielen, dass die Ernten kaum noch vermarktbar waren, wurde wieder eine höhere Stickstoffdüngung zugelassen.
Auf das Spannungsfeld von Düngung und Qualität machte auch Caroline Benecke aufmerksam, die das Sachgebiet Pflanzenernährung, Düngung und Nährstoffmanagement der LWK Niedersachsen leitet. Sie kritisierte, dass die Düngeverordnung die unterschiedlichen natürlichen Standortbedingungen nicht ausreichend berücksichtigt und wies auf die Gefahr hin, dass es regional zu Aushagerungen kommen könnte. Die Nachlieferung von Stickstoff aus den Böden werde sinken. Wenn es insbesondere in den „Roten Gebieten“ dem Landwirt nicht gelinge, die verfügbare Stickstoffmenge zu Gunsten des Winterweizens umzuverteilen, sei in diesen Gebieten zukünftig kein Qualitätsweizenanbau mehr möglich. Versuche der LWK zeigten, dass eine N-Düngung mit 20 % unter Bedarf zwar einen unterproportionalen Ertragsrückgang bewirkt, aber– was gravierender ist – auch einen Rückgang des Rohproteingehaltes um mehr als 1 Prozentpunkt auslöst. Im Übrigen betrifft die reduzierte Düngung nicht nur die Qualität des Backweizens, sondern auch den Futterweizen. Niedrigere Proteingehalte müssen in den Futtermischungen ebenfalls berücksichtigt und durch andere Proteinquellen ergänzt werden. Caroline Benecke wies abschließend darauf hin, dass es vor dem Hintergrund des so knappen Stickstoffes darum gehen muss, ihn so effizient wie möglich einzusetzen. Hier sind ackerbauliche Maßnahmen und optimierte Ausbringungszeitpunkte unter Berücksichtigung von Bodenfeuchtigkeit und -temperatur zunehmend wichtig.
Nach einer angeregten Diskussion schloss der Vorsitzende der AG Qualitätsweizenanbau, Markus Gerhardy, die Tagung mit dem Hinweis, dass es eben auch beim Qualitätsweizenanbau Zielkonflikte gibt, die politisch bewertet und gewichtet werden müssen. Gelingt es nicht mehr ausreichende Mengen an Backweizen in Niedersachsen zu erzeugen, wird es zu Importen aus anderen Regionen und damit auch zu einem erhöhten CO₂-Fußabdruck kommen. Und wenn die Kulturpflanzen auf den im Ackerboden gebundenen Kohlenstoff zurückgreifen, konterkariert dies das Ziel des Humusaufbaus. Deshalb wirft insbesondere der Anbau von qualitativ hochwertigem Weizen viele Frage auf, die es gemeinsam mit den Akteuren der Wertschöpfungskette und den politischen Entscheidungsträgern zu klären gilt. Dabei werden die kommenden Tagungen der AG Qualitätsweizenanbau mit Sicherheit weiter eine wichtige Rolle spielen.