Über die Rolle des Ökolandbaus bei den aktuellen Herausforderungen des Ackerbaus in Niedersachsen sprach der Leiter des Ackerbauzentrums, Hilmar Freiherr von Münchhausen am 22. März 2022 mit Carolin Grieshop, Geschäftsführerin der Kompetenzzentrum Ökolandbau GmbH (KÖN).
Liebe Frau Grieshop, Sie sind seit zehn Jahren Geschäftsführerin des KÖN. Im Laufe dieser zehn Jahre hat der Ökolandbau in Niedersachsen an Bedeutung gewonnen. Wie beurteilen Sie die Potenziale und Chancen des Ökolandbaus in den verschiedenen Regionen Niedersachsens?
Carolin Grieshop: Wenn wir vom Wachstum beim Ökolandbau sprechen, beziehen wir uns auf die Fläche. Im Nordosten Niedersachsens haben wir 14 bis 20 Prozent Ökolandbau. Im Westen Niedersachsen haben wir ein bis zwei Prozent, und das hat strukturelle Gründe. Die tierhaltenden Betriebe haben lange Jahre immer gutes Geld verdient. Die Preise für landwirtschaftliche Flächen sind die höchsten in Deutschland – hohe Preise bedeuten wenig Umstellung. Außerdem gibt es im Westen Niedersachsens vergleichsweise wenig Abnehmer für Öko-Rohwaren. Es ist wichtig, dass tierhaltende Betriebe umstellen, denn die Tierhaltung zieht den Ackerbau nach sich. Die Umstellung ist in einigen Landkreisen im Westen derzeit allerdings sehr schwierig, weil sie keine Genehmigungen für den Um- und Neubau von Ställen bekommen. Das muss sich ändern. Gute Perspektiven und gute Chancen für den Ökolandbau sehe ich in allen Regionen Niedersachsens.
Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag 30% Ökolandbau bis 2030 beschlossen. Für wie realistisch halten Sie dieses Ziel? Der Niedersächsische Weg hatte sich 15% Ökolandbau bis 2030 als „ambitioniertes Ausbauziel“ gesetzt.
Carolin Grieshop: Deutschland hatte 2020 einen Anteil von 10,3 Prozent Ökofläche an der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Diese Fläche müsste sich in zehn Jahren verdreifachen, um das Bundesziel von 30 Prozent im Jahr 2030 zu erreichen. Wenn wir uns Niedersachsen ansehen, formuliert der „Niedersächsische Weg“ ein ähnliches Ziel, 15 Prozent Ökolandbau bis 2030. Das entspricht ebenfalls einer Verdreifachung der Fläche von 2020 aus gesehen. 15 Prozent im Jahr 2030 für Niedersachsen ist realistisch, wenn sich das Wachstum der vergangenen vier, fünf Jahre fortsetzt. Das haben wir im KÖN gerechnet. Man muss wissen, dass Niedersachsen dasjenige Bundesland ist, in dem der Ökolandbau am schnellsten wächst. Doch ob die Ökolandbauziele erreicht werden, wird maßgeblich davon abhängen, wie sich die Nachfrage nach Bioprodukten entwickelt.
Um die Ausbauziele zu erreichen, reicht es sicherlich nicht, nur die Erzeugung zu fördern, sondern auch Verarbeitung und Vermarktung auszubauen. Wie lässt sich Ihrer Meinung nach die Nachfrage nach Öko-Produkten besonders effizient steigern? Und gibt es Maßnahmen, die insbesondere Niedersachsen ergreifen sollte?
Carolin Grieshop: Landwirte brauchen eine langfristige Erfolgsperspektive. Nach unserer Erfahrung unterschätzen umstellungsinteressierte Landwirte oft, dass der Markt für ökologisch erzeugte Produkte nach ganz anderen Regeln als der konventionelle Markt arbeitet. Deshalb legen wir als KÖN großen Wert auf die Vermarktungsberatung. Jeder Landwirt sollte zuerst einen Abnehmer für seine Bio-Rohware finden, bevor er umstellt. Dabei helfen wir ihm. Das vorweg, um deutlich zu machen, dass die Vermarktung ein Schlüssel zum Erfolg für den Umsteller und damit für das Wachstum des Ökolandbaus insgesamt ist. Es gibt verschiedene Ansätze, den Absatz zu stärken. Der „Beirat zur Förderung des ökologischen Landbaus in Niedersachsen“ empfiehlt unter anderem, dass Niedersachsen die Pächter seiner Kantinen motiviert, mit Bioprodukten zu kochen. Die Gastronomie ist ein riesiger Absatzmarkt und Bio ist hier weit unterrepräsentiert.
Die Preise für Lebensmittel steigen. Glauben Sie, dass dies negative Auswirkungen auf die Nachfrage nach Bio-Produkten haben könnte?
Carolin Grieshop: Kunden sind bereit, für Bio-Produkte einen höheren Preis zu bezahlen. Das wird sich nicht grundlegend ändern, aber das Wachstum wird gebremst. Potenzielle Bio-Neukunden werden länger brauchen, um ihr Kaufverhalten umzustellen.
Ein Blick auf die Gemeinsame Agrarpolitik ab 2023: Es ist erklärtes politisches Ziel eine nachhaltige Landwirtschaft zu stärken und den Umwelt-, Klima- und Naturschutz besser mit der Landwirtschaft zu verzahnen. Wie bewerten Sie die Beschlüsse zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP)?
Carolin Grieshop: Für mich ist die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik gescheitert, denn sie wird nicht das erreichen, was sie beabsichtigt: Mehr Umwelt-, Klima- und Naturschutz. Dafür müssten die Bedingungen so ausgerichtet sein, dass sich möglichst viele Betriebe daran beteiligen. Das sind sie nicht. Für konventionelle Betriebe sind die Vorgaben der Ökoregelungen und der erweiterten Konditionalität zu hoch, und Bio-Betrieben bricht Förderung weg, weil sie nicht mehr automatisch als „green by definition“ gelten. Wenn wir Erfolg mit dem „Green Deal“ haben wollen, dann brauchen wir eine grundlegende Neugestaltung der GAP. Sie muss konventionelle Betriebe motivieren, in Richtung „Green Deal“ zu gehen und die ökologisch wirtschaftenden Betriebe fair fördern.
Ist es sinnvoll, dass Ökobetriebe zukünftig auch 4 % ihrer Ackerfläche stilllegen müssen, um die Flächenprämie zu erhalten?
Carolin Grieshop: Nein. Weil der Ökolandbau weitgehend auf Herbizide und Insektizide verzichtet, haben Öko-Äcker eine vergleichsweise hohe Artenvielfalt. Für Biobetriebe ist die Regelung GLÖZ 8 mit vier Prozent Stilllegung kontraproduktiv und teuer. Durch die Pflicht zur Selbstbegrünung riskieren sie Stickstoff-Auswaschungen, die sie üblicherweise durch eine Zwischenfruchtansaat verhindern. Weil keine Schröpfschnitte durchgeführt werden können, werden sich Beikräuter aussamen. Die können im Ökolandbau nur durch mechanische Maßnahmen reduziert werden. Das ist aufwendig und teuer. Und nicht zuletzt verlieren sie für die Stilllegungsfläche die Ökoprämie. Land ist begehrt und kostbar. Unser Ziel muss es doch sein, Flächen in der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung zu halten und diese so nachhaltig wie möglich zu bewirtschaften. Der Ökolandbau produziert nachhaltig, und zwar auf seiner gesamten Fläche.
Gibt es mit Blick auf die GAP Maßnahmen, die das Land Niedersachsen bspw. im Rahmen der Agrarumweltmaßnahmen ergreifen sollte?
Carolin Grieshop: Niedersachsen sollte seinen Spielraum nutzen und zum Beispiel die Kombitabelle überarbeiten. Ein Beispiel: Ein Biobetrieb legt einen Blühstreifen an. Er muss biozertifiziertes Saatgut kaufen, das ist teuer, und er muss die Fläche später gründlich mechanisch bearbeiten, weil er kein Totalherbizide einsetzt. Für den Blühstreifen bekommt er dieselbe Prämie wie sein konventioneller Kollege, die Kombinationsmöglichkeit mit der Bioprämie gibt es voraussichtlich nicht. So eine Kombination wäre aber ein gerechter finanzieller Ausgleich für die Mehrkosten und den Mehraufwand, den ein Ökolandbaut hat.
Aktuell wird im Bereich Digitalisierung umfangreich geforscht und diskutiert. Sind die neuen Möglichkeiten präziser Feldbearbeitung und moderner Technik auch im Ökolandbau ein Thema? In welchen Bereichen spielt das eine Rolle?
Carolin Grieshop: Der Ökolandbau ist der Antreiber der Digitalisierung, vor allem der Entwicklung von Sensorik für Agrarroboter, denn Roboter können die aufwändige Handarbeit im Ökolandbau übernehmen. Da möchte ich gerne die Hochschule Osnabrück nennen, die sich hier sehr engagiert. In der mechanischen Unkrautbekämpfung zeigen sich der Bedarf und der technische Fortschritt deutlich. Im vergangenen Jahr hat das KÖN fünf verschiedene Feldroboter auf seinem „Bio-Fachforum Gemüse und Kartoffeln“ zeigen können und mit Fachleuten über die Weiterentwicklung diskutiert. Besonders im Gemüsebau ist das Interesse sehr groß.
Und zum Schluss noch eine Frage zum neu entstehenden Ackerbauzentrum Niedersachsen: Welche Wünsche und Erwartungen haben Sie an uns?
Carolin Grieshop: Das KÖN ist Mitglied im Beirat des Ackerbauzentrums und möchte dort die Sicht und die Erfahrungen des Ökolandbaus einbringen. Ich erwarte vom Ackerbauzentrum neue Impulse und Innovationen sowie Antworten auf die Fragen zur Zukunft des Ackerbaus. Dem Ackerbauzentrum Niedersachsen wünsche ich von ganzem Herzen viel Erfolg.