Langsam wird es zu einer Tradition: Zum Osterfest stellt das Netzwerk Ackerbau Niedersachsen e.V./Ackerbauzentrum Niedersachsen jeweils einen Bewohner der Feldflur vor, und zwar nicht nur den Feldhasen. Diese jährliche Reihe trägt dazu bei, auf die Vielfalt der Arten in unseren Agrarlandschaften aufmerksam zu machen. In diesem Jahr fiel unsere Wahl auf die Wiesenweihe (Circus pygargus).


Zugvogel und Anpassungskünstler
Jetzt ist es wieder so weit: Mitte bis Ende April kommt die Wiesenweihe zurück in ihre Brutgebiete in West- und Mitteleuropa und damit auch nach Niedersachsen. Als Langstreckenzieher liegen ihre Überwinterungsgebiete weit entfernt südlich der Sahelzone in Westafrika bis hin nach Südafrika. Nach dem erfolgreichen Frühjahrszug beginnt die Balz mit den auffälligen Schauflügen der Männchen. Die anschließende Brutzeit dauert von April bis Juli. Als ein Vertreter der Greifvögel gehört die Gattung der Weihen (Circus) taxonomisch in die Familie der Habichtartigen (Accipitridae). Wie viele Arten in dieser Gattung zeigt auch die Wiesenweihe eine unterschiedliche Gefiederfärbung zwischen den Geschlechtern (siehe Fotos und Beschreibung). Für eine Greifvogelart ungewöhnlich: Die Wiesenweihe ist ein Bodenbrüter. Dabei benötigt sie als Schutz ausreichend Vegetation rund um das Nest. Daher waren ursprünglich ihre Brutflächen Wiesen und Feuchtgebiete, Moore und Heidelandschaften.
Doch wegen dem Verlust dieser Habitate bevorzugt die anpassungsfähige Wiesenweihe seit einigen Jahrzehnten Getreidefelder als Niststandort, darunter häufig die Wintergerste. Für Folgegelege oder späte Erstgelege sind Nistplätze zudem auch im Winterweizen zu finden. Pro Gelege finden sich vier bis sechs Eier, aus denen nach etwa 30 Tagen Brutdauer die Jungvögel schlüpfen. Dann dauert es weitere 32 bis 42 Tage, bis diese fliegen können.



Eine weitere Besonderheit zeigt sich bei der Versorgung der Jungvögel. Das Weibchen übernimmt die vom Männchen erjagte Beute im Flug. Damit verlässt sie nur sehr kurzzeitig das Nest. Die Hauptnahrungsquelle von Wiesenweihen sind Feldmäuse, aber auch Kleinvögel, Eidechsen und Insekten werden erbeutet.
Wiesenweihen schützen - gemeinsam mit der Landwirtschaft
Die Lebensweise der Wiesenweihe birgt viele Risiken. Dennoch sind ihre Bestände in Deutschland erfreulich stabil. Niedersachsen gehört zu den wichtigsten Brutgebieten in Deutschland. Hier brüten regelmäßig rund 80 bis 100 Paare, wobei der Bestand jährlich stark schwankt. Es handelt sich um eine relativ kleine Population. Die Greifvogelart ist in der niedersächsischen Roten Liste der Brutvögel als stark gefährdet eingestuft. Der Erhalt der Vorkommen der Wiesenweihe beruht auf vielfältigen Schutzmaßnahmen. In Deutschland wird der Bruterfolg durch den Schutz der Nester vor Erntemaschinen in vielen Regionen sichergestellt. Dies gelingt nur in enger Kooperation zwischen Naturschutz und Landwirtschaft.
Vor dem Mähdrusch muss herausgefunden werden, wo sich die Nester im Getreidefeld befinden. Dazu werden die Brutplätze durch Beobachtungen, wie der typischen Futterübergabe der Elterntiere im Flug, auch mit Unterstützung von infrarotfähigen Drohnen ausfindig gemacht und markiert. Die weiteren Maßnahmen werden mit den Landwirten abgestimmt und je nach Einzelfall entschieden. So kann es im Winterweizen der Fall sein, dass die Jungvögel schon vor der Ernte flügge geworden sind. Wo die Flächen mit den Nestern (ca. 50 x 50 m) bei der Ernte ausgespart werden, wird in Niedersachsen eine Ausgleichszahlung von bis zu 450 € durch das Land gewährt. Für den Schutz von Gelege und Jungvögeln wird der Nistplatz auch oft auf einer Fläche von ca. 3 x 3 m eingezäunt, um so Beutegreifer wie Füchse oder Wildschweine abzuwehren.






Katja Behm von der Staatlichen Vogelschutzwarte des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) koordiniert das Artenhilfsprogramm Wiesenweihe. Sie bündelt die Daten zur Verbreitung sowie zur Bestandsentwicklung und wertet diese aus. In Niedersachsen gibt es, neben einigen Einzelvorkommen, drei Verbreitungsschwerpunkte: Ostfriesland, die Diepholzer Moorniederung und den Landkreis Lüchow-Dannenberg (siehe Übersichtskarte, Stand: 2023). Das Fehlen von Nachweisen auf der Übersichtskarte bedeutet nicht zwangsläufig, dass es dort keine Wiesenweihen gibt, denn nicht alle Vorkommen werden gefunden.

Im Verbreitungsschwerpunkt Landkreis Lüchow-Dannenberg gibt es rund 10 Brutpaare. Hier betreibt Stefan Beilke von der Naturschutzstation Wendland-Drawehn des NLWKNs seit 30 Jahren Wiesenweihenschutz und erlebt viel Kooperationsbereitschaft aus der Landwirtschaft. Der Ackerbau in diesem Gebiet beruht auch auf der Feldberegnung, die allerdings die Wiesenweihe so stark stören kann, dass es zur Nestaufgabe kommt. Daher kann es für den Arbeitsaufwand einer sektoralen Bewässerung, um die Nester auszulassen, weitere 100 € Ausgleichszahlung pro Niststandort für die landwirtschaftlichen Betriebe geben.
Das Beispiel der Wiesenweihe verdeutlicht, dass sich Landwirtschaft und Artenschutz durch gezielte Kooperation erfolgreich miteinander vereinbaren lassen.
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